Auf meiner Fahrt mit dem ICE nach Augsburg habe ich mich dabei „erwischt“, wie ich aus dem Fenster gesehen und mich bei einer Geschäftsreise dem Nichtstun hingegeben habe. Ja, wirklich „erwischt“ – denn bei Geschäftsreisen mache ich das eigentlich nie.
Weil man im Zug so gut arbeiten kann! Das ist ja wirklich so. Auch dann, wenn das WLAN nicht stabil ist, oder Führungskräfte „wichtige Calls“ so lautstark führen, dass sie auch viele Sitzreihen entfernt im Details mitverfolgt werden können. Und wenn ich den Laptop nicht aufklappe oder das iphone nicht in der Hand halte, dann ist es eben eine Zeitung oder – richtig crazy – ein Buch, in das ich mich vertiefe.
Aber aus dem Fenster gucken? Und gar nichts tun? Noch nicht mal Podcast dabei hören? Das mache ich wirklich selten. Und so schwer es mir fällt, ich kann es mittlerweile genießen – zumindest manchmal und zumindest ein bißchen.
Ich komme auf so ganz andere Gedanken…
Diese schönen Häuser, die die Bahnlinie in Gotha säumen…wie wohnt es sich da wohl? Würde ich da gern wohnen? Für den Blick ist es ja eigentlich schöner gegenüber eines schönen Hauses zu wohnen…
Der Halt auf offener Strecke kurz vor Eisenach…eigentlich ein Ärgernis, der zu Verspätungen führt. Ein solcher Halt dient mir beim Aus-dem-Fenster-Gucken als willkommener Anlass, sich Wiesen und Wälder einmal in Ruhe anzusehen.
Wer hat da wohl „Osho“ auf die Lärmschutzwand in Erfurt gesprüht? Die Sanyassins, die ich vor vielen Jahren in Köln kennenlernte, werden es sicher nicht gewesen sein können, aber ihre Kinder?
Niksen – so heißt die niederländische Bezeichnung für diese Tätigkeit des Nichtstuns. Hygge nennen es die Dän:innen, „dolce far niente“ die Italiener:innen. Eigentlich die moderne Form des „Seele-baumeln-Lassens“, für das man sich viel zu selten Zeit nimmt. Weil man ja denkt, „die Zeit gut nutzen“ zu können. Und „gut nutzen“, das ist mittlerweile das gleiche wie “Zeit am Computer” oder am iPad oder am Handy.
Die Brieftaubenvereinigung Bürstadt e.V., das sehe ich gerade, hat ein wirklich riesiges Gebäude, wenn das voller Brieftauben ist? Daneben auf einer Wiese haben es sich bestimmt 10 bis 15 Störche eingerichtet – schlechte Zeiten für die Frosch-Population dort. Dann unfassbar viele Schrebergärten, mit wirklich kreativ zusammengezimmerten Hütten. Vorbei am Hundertwasser-Haus in Plochingen, auf der Strecke von Mannheim nach Stuttgart wird es sichtbar wohlhabender.
A propos Lärmschutzwände und Lärmschutzwälle: so sinnvoll sie ja für Anwohner sind, für den „niksenden“ Bahnfahrer ist es ein Gräuel, zumindest, wenn sie direkt an den Gleisen gebaut sind. Minutenlang nichts als eine Wand vorbeirauschen zu sehen und nichts zu denken, das ist dann doch etwas zu viel für mich. Glücklicherweise gibt es Lärmschutz nur in geschlossenen Ortschaften. Aber noch schlimmer übrigens: nicht enden wollende Tunnel.
Der eigentliche Feind des Niksens sind jedoch Telefonate – und zwar die Telefonate, die andere führen. Es scheint einen guten Grund zu geben, so laut zu sprechen, das der Mensch am anderen Ende der Leitung jedes Wort auch ohne Telefon verstehen kann. Und es scheint auch einen guten Grund zu geben, dass die Hörerlautstärke oft so eingestellt ist, dass ich von beiden Gesprächspartnern jedes Wort verstehen kann. Aber eigentlich will ich es nicht.
Gespräche der anderen sind ja auch auf eine gewisse Weise “interessant”. Oder jedenfalls “beruhigend”. Ich bin dann doch froh, mich nicht mit „Partner-Meetings“ und „Releases“ auseinandersetzen zu müssen, sondern damit, auf welche Person ich im nächsten Medientraining treffen werde. Und so hilft mir das Schauen aus dem ICE-Fenster dabei eine Haltung zu entwickeln, die mich insgesamt mit „heiterer Gelassenheit“ reisen und ankommen lässt.